Vor 20 Jahren schien eine rote Welle über die Welt zu schwappen. Sozialdemokratische Parteien eroberten Regierung um Regierung für sich. Heute bangen sie um ihre politische Existenz.
Tony Blair, Bill Clinton, Gerhard Schröder, all diese Regierungschefs haben zwei Dinge gemeinsam. Da wäre zunächst die Parteizugehörigkeit, denn alle sehen sich als Sozialdemokraten, andererseits ähneln sich ihre Geschichten. Alle drei sind in den 90er Jahren an die Macht gekommen und wurden hoffnungsvoll auf der weltpolitischen Bühne empfangen, man könnte aber auch behaupten, dass sie alle samt gescheitert sind. Trotzdem erinnern sich manche Sozen mit Wehmut an jene Zeiten, als man noch deutlich über 30% erreichen konnte und im ewigen Streit mit den Konservativen meist die besseren Antworten hatte. Nun, die Konservativen biegen gerade nach rechts, andere progressive Parteien machen ihnen die Position streitig und sie selbst wissen nicht mehr so richtig, wofür sie stehen.
Das zeigt die Umfrage nach der Hessen-Wahl. 2/3 der Befragten, wussten nicht, was die SPD inhaltlich ausmacht und zugleich können sich 81% deutschlandweit vorstellen, die SPD zu wählen, wissen aber nicht so richtig warum.
Dieses Spannungsverhältnis verdeutlicht die Lage der Sozialdemokratie in Deutschland. Alle haben sie irgendwie noch gern, aber keiner nimmt sie mehr ernst. Das kann nicht mehr lange gut gehen, wie der internationale Vergleich zeigt.
In Großbritannien ist es seit Blair keinem Mitglied der Labour party mehr gelungen, den Premieminister zu stellen. Zuletzt scheiterte Jeremie Corbyn nur knapp an den Torries. Aber Corbyn vertritt linkere Positionen als für Sozialdemokraten üblich und mit Vorwürfen von antisemitischen und frauenfeindlichen Positionen, scheint die Euphorie um seine Person vergangen zu sein. Zudem spaltet sich seine Partei aktuell an der Frage, wie sie sich zum BREXIT verhalten sollen.
Um Personen geht es auch bei den US-Demokraten. Obwohl sie in den Mitterms einen Teilerfolg verbuchen konnten, scheint die Partei orientierungs- und ratlos, wie man Donald Trumps Wiederwahl 2020 verhindern könnte. Eine jüngere, progressivere und heterogenere Generation von Politiker*innen konnte überzeugen, ob sich die Parteiführung zu einem Kurswechsel durchringen kann, kann aber bezweifelt werden. Heute ist es deutlicher denn je zu erkennen, dass die Wahl Barak Obamas zum Präsidenten seiner Person und rhetorischen Strahlkraft und nicht einer starken inhaltlichen Programatik der Partei zu verdanken war.
Bleibt die SPD. Dass die Harz-Gesetze sie gespalten und somit geschwächt haben, steht außer Frage. Aber wenn man SPD und Linke zusammenzählen würde, hätten sie trotzdem nur knapp die Hälfte der Stimmen, die einst Willi Brandt gewinnen konnte. Bleibt die Frage nach dem Warum, die nicht so leicht zu beantworten ist. Eine mögliche Deutung liegt darin, dass die vielen GroKos seit 2005 beide Volksparteien schwächen und die Ränder stärken. Durch die humane Flüchtlingspolitik, hat Merkel eher sozialdemokratische Positionen vertreten, weshalb der Eindruck entstand, dass die Union nach links rückt und die AFD konnte sich stabilisieren und mehr davon profitieren als Beispielsweise die Linke. Diese Erklärung wird fast schon als Gesetzmäßigkeit aufgefasst und kaum noch bestritten. Anders könnte man jedoch eine programatische Schwäche der SPD feststellen. Das Prädikat der führenden progressiven Kraft kann sie nicht mehr für sich beanspruchen, seitdem Andrea Nales Umweltschützer beschuldigt hat, für rechtspopulistische Zuwächse verantwortlich zu sein. Diese Rolle haben ihr die Grünen abgenommen, denn viele spühren die Auswirkungen der Klimakrise mittlerweile auch in Deutschland. Auf mögliche Unsicherheiten in der Arbeitswelt durch die Digitalisierung oder die Globalisierung, v.a. auf die Ängste der Menschen, hat sie keine Antworten und es sind wieder die Grünen, die das Thema Datensicherheit verstärkt angehen wollen und die FDP, die die Digitalisierung als Goldesel betrachtet. Dabei sind die Umbrüche in der Gesellschaft maßgeblich für den Verlust der Industriearbeiterschaft als wichtige Wählersäule der SPD verantwortlich. Sie hat es verschlafen, die Stimme der Zeit und Leiharbeiter im Dienstleistungssektor zu werden.
Und zu guter letzt, hat die SPD keine klare Position bei der Flüchtlingspolitik, denn sie sieht, wie ihre Stammwählerschaft, aufgrund von Verteilungsängsten, die Feinde nicht mehr in den Chefetagen sondern in den Sammelunterkünften sieht und zur AFD geht. Die AFD hingegen spielt genau mit diesem Gedanken, um ihre Chefetagenfreundliche Steuer und Wirtschaftspolitik unerkannt zu lassen.
Fest steht, die Sozialdemokraten müssen sich entscheiden, in welche Richtung sie wollen. Sind sie die Stimme der Arbeitnehmer und Schwachen oder verfallen sie in sozialdarvinismus light, um die Rechten zu koppieren? Wollen sie nach links rücken und radikaler werden oder die Mitte besetzen, sofern es noch diese Mitte gibt? Und schließlich, werden sie sich dem Klimaschutz verwehren oder entlich anerkennen, dass sozialpolitik in Zeiten des Klimawandels unbedingt mit nachhaltiger Klimapolitik zusammen gedacht werden muss?
Viele Fragen mit komplexen Antworten, die vor Allem selbstkritische Betrachtungen erfordern. Aber sie sind notwendig, will die geschichtsträchtige Sozialdemokratie nicht, dass ihre Geschichte bald endet.