Was ist „Anthropozän“?

Über das Zeitalter kollektiver Selbstüberschätzung

Vor ca. 20 Jahren prägte der kürzlich verstorbene Wissenschaftler Paul J. Crutzen den Begriff des „Anthropozäns“ und gab der Welt, die wir uns untertan gemacht haben einen Namen. Dieses Wort beschreibt die Herrschaft des Menschen über den Planeten, seinen Sieg über die Natur. Zumindest können Viele diesem Narrativ etwas positives abgewinnen. Der „Krieg gegen die Natur“ ist aber ein Irrweg der Menschheit, den es dringend zu korrigieren gilt. Dafür braucht es ein neues Verständnis von „Anthropozän“, Macht und Herrschaft.

Der „Anthropozän“ als Vollendung der Aufklärungskontinuitäten. Vor Allem technikbegeisterte Fortschrittsoptimist*innen stimmen dieser Aussage zu. Die Emanzipation des Denkens, der Märkte bis zur Emanzipation des Menschen von planetaren Grenzen, die sein Leben zwar immer, aber immer weniger bestimmt haben. Eigentlich klingt das gut: der „Anthropozän“ als Befreiungsgeschichte? Wir wissen, dass das nicht stimmt. Denn Hierarchien und Machtgefälle wurden durch die Ausweitung -menschlichen Einflusses keineswegs verringert, sondern eher verschärft.

Die „Verwertbarmachung“ von Mensch und Natur als fortlaufenden Prozess, der die planetaren Grenzen überschreitet und auch die menschliche Problemlösungskompetenz überfordert. Denn wir schaffen die Verhältnisse, die unser Fortbestehen existenziell bedrohen und sind nicht bereit, sei es aus Bequemlichkeit oder Kurzsichtigkeit, diese Verhältnisse zu ändern.

Mit Blick auf die Klimakrise ist jedoch anzumerken, dass die erweiterten Schranken heute, mit einer gleichzeitigen Verengung der natürlichen Schranken sowohl in Zukunft für alle als auch schon heute besonders für Entwicklungsländer verbunden ist.

Es ist wie eine Gleichung: wenn man auf einer Seite einen Faktor entfernt muss man diesen der anderen Seite hinzufügen. Betrachten wir diese Gleichung als eine Intertemporalitätsfunktion so wird deutlich, dass was wir heute tun, morgen auf uns zurückfällt, sei es auf eine oder andere Art.

Ein neues „Anthropozän“?

Der Widerspruch des Begriffs „Anthropozän“ wird uns immer dann vor Augen geführt, wenn Naturkatastrophen oder andere Naturphänomene verdeutlichen, wie sehr die Menschheit ihre Fähigkeit zur „Naturbändigung“ überschätzt. Entweder verwirft man den Begriff, da der Mensch nicht tatsächlich in der Lage ist, die Welt zu kontrollieren oder man öffnet sich einer anderen Definition von Dominanz bzw. Herrschaft, welche dem Verständnis von Anthropozän zugrunde liegen.

 Ich behaupte, dass es einen Anthropozän gibt aber dieser anders als von vielen erwartet, nicht mit der Industrialisierung begann, sondern in ihr den Beginn seines Niedergangs fand. Man kann nicht leugnen, dass wir Menschen die Erde Jahrtausende lang nach unserem Belieben umgestalten und prägen. Wir betreiben Landwirtschaft, wissen Rohstoffe zu verwerten und Tiere zu domestizieren. Der Mensch war und ist zu klug, um diese Methoden nicht entwickelt zu haben und doch zu engstirnig, um die ganzheitlichen Konsequenzen seines Handelns zu begreifen.

Der technologische Fortschritt eröffnete immer weitere und effizientere Formen, die Ressourcen dieser Welt „zu unseren Gunsten“ zu nutzen. Sogar die Menschen wurden selbst zu Ressourcen im Arbeitskapitalismus. Durch die Industrialisierung und den damit verbunden Klima- und Umweltschäden aber, hat die Menschheit einen Teil der Kontrolle über die Welt abgegeben und ist somit drauf und dran, ihre Dominanz auf diesem Planeten zu vernichten. Eine destruktive Herrschaftsweise kann nicht von Dauer sein. Heute stehen wir kurz vor einigen wichtigen Schwellen unseres planetaren Ökosystems, die sog. Kipppunkte. Mit dem Überschreiten dieser Kipppunkte, ist das Ende des Anthropozäns besiegelt. Denn dann hilft uns nicht die neueste Technik, das aktuellste Modell, dann setzen Reaktionen in Atmosphäre, Biosphäre oder Hydrosphäre ein, die wir weder vorhersagen noch begreifen können. Schlicht und einfach, weil sie, wenn überhaupt nur in einer Zeit vorherrschten, in der es Menschen noch nicht gab. Die absurd hohe Geschwindigkeit, mit der wir diese Welt verändern, erschwert Prognosen noch zusätzlich.

Das Anthropozän war also die Zeit, in der Homo Sapiens, sich die Welt mit all ihren Gaben zu Nutze machte, aber in einem Maße, dass nicht zerstörerisch, sondern mit Respekt vor der Mitwelt, Fauna, Flora und ihren Nachfahren wirkte. Eine Idealisierung vorindustrieller Zeit liegt mir fern und vielleicht hat es diese Form des Anthropozäns nie gegeben. Aber wir können sie schaffen! Noch nie wussten wir so genau, was zu tun ist. Selten war der Druck größer, es tatsächlich umzusetzen. Die Menschheit muss eine symbiotische Beziehung zur Natur finden, wissen wie viel man der Erde an Rohstoffen entnehmen kann, ohne sie zu vernichten. Mit der Natur, mit den Menschen armer Länder und mit kommenden Generationen leben ist das Ziel. Wenn der politische Wille da ist, wieso sollten wir denn scheitern?

Quellen:

  • Brüggemeier, Franz-Josef: Schranken der Natur. Umwelt, Gesellschaft, Experimente 1750 bis heute, Klartext, Essen 2014.
  • Zwischen „Nachhaltigkeit“ und „Anthropozän“. Neue Tendenzen in der Umweltgeschichte von Sebastian Haumann (2019)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.