Protest kann der Motor der Demokratie sein. In einer bestimmten Ausgestaltung aber, kann Protest auch als Motor ihrer Zerstörung wirken.
Ob ein Protest eigene Vorschläge entwickelt; eine Protestbewegung eine eigene Agenda hat, die eine proaktive Beteiligung an der Zukunftsgestaltung beansprucht, ist entscheidend über die Fortentwicklung der Bewegung selbst. Entscheidend also ist, wie wird die Wut, die die Leute auf die Straße treibt kanalisiert? Es kann ein Ansporn sein, jetzt erst recht die beanstandeten Probleme zu lösen oder es kann in eine defaitistische Ablehnung des Politischen münden. Letzteres geschieht mit PEGIDA, der AFD und Querdenkern. Eine Konsequenz aus dieser Entwicklung ist oft die Vernachlässigung der Problemlösung. Nicht eine andere inhaltliche Ausrichtung bei einer bestimmten Sachfrage steht mehr im Vordergrund, sondern die meist reißerische und pauschalisierende Kritik am etablierten System. Das schweißt zusammen. Denn das Auftreten, die Sprache und Radikalität der Kritik, stößt auf Unverständnis bei der Mehrheitsbevölkerung. Gleichzeitig entfalten diese Gruppen eine enorme Sogkraft bei ihren eigenen Mitgliedern. Die Unterteilung in Wir und die anderen ist dann ein leichtes und lenkt die blinde Wut in für die Demagogen opportune Richtung.
Ein Blick zum Vergleich veranschaulicht diese Zusammenhänge eindrucksvoll. Die Grünen und die AFD sind beide mit starken Protestbewegungen entstanden, wurden interessiert medial begleitet und stießen unter den etablierten Gruppen auf Ablehnung. Beide eckten mit scharfer Kritik an der verbreiteten politischen Praxis und wurden als Radikale beschimpft. Obwohl zu Beginn einige K-Gruppen bei den Grünen dabei waren, war die Grüne Idee niemals extremistisch. Sie war in der damaligen Zeit radikal, sie war teilweise disruptiv aber sie war v.a. eines, demokratisch. Die Lösung der Krisen: Atomkraft, Ungleichheit, Kalter Krieg und Umweltverschmutzung, standen im Vordergrund und deshalb wollten sie politisch gestalten und dafür waren sie bereit, Kompromisse einzugehen.
Bei der AFD erleben wir einen gänzlich entgegengesetzten Prozess. Sie radikalisiert sich immer weiter. Wer nicht rechts genug ist, wird abgesägt. Die AFD Führung ist in der Wutspirale gefangen. Um die eigenen Anhänger*innen zufriedenzustellen, müssen sie immer noch einen draufsetzen, immer schärfer kritisieren, eine immer provokativere Sprache verwenden. Denn wenn man den Kompromiss als Schwäche verpönt, den zivilisierten Diskurs sprengt und die demokratischen Instanzen diskreditiert, lässt sich Mäßigung schwer Begründen. Wenn „die Anderen“ als Teil „des Systems“ zum Feind des „Wir“ erklärt werden, kann man kein Teil des Systems werden, man muss es zerstören. Das ist die Erwartungshaltung der AFD-Mitglieder an ihre Funktionäre und so denken die meisten der Funktionäre sicherlich auch.
Die Wut ist immer ein Mobilisierungsfaktor der Gruppe, die diese Wut empfindet. Ob sie aber auch konstruktiv für die gesamte demokratische Gesellschaft wirkt, hängt von der Protestbewegung ab.
Quellen:
- Der Spiegel: Dirk Krubjuweit. Essay, „der Wutbürger“; 11.10.2010
https://www.spiegel.de/spiegel/a-724587.html
- Der Spiegel: Dirk Krubjuweit. Essay: Alte und neue Wutbürger, Zuhören hilft; 09.10.2020
- Podcast: Stimmenfang „das Jahrzehnt des Wutbürgers“; 15.10.2020