Rhetorischer Futurismus

Our Future <- Our Gegenwart!

Mittlerweile scheint es zum guten Ton im politischen Raum zu gehören, ambitioniertere Klimaziele einzufordern. Das ist das Ergebnis der letzten 2 Jahre enormen Drucks der neuen Klimabewegung auf die Regierenden weltweit. Mit dieser Forderung, nach strengeren Emissionsreduktionszielen, steuert die Menschheit jedoch auf eine Falle, die bei der Lösung großer Probleme immer öfter zuschlägt, die sog. Fristenverschiebung…

  • 40% weniger CO2-Emissionen 2020 im Vergleich zu 1990;
  • Keine Neuzulassungen von Verbrenner-Motoren ab Ende 2020
  • Ende der Schweinehaltung in Kastenständen bis 2019 und kein Küken-schreddern ab 2020

Fällt etwas auf?

Genau, das sind alles Forderungen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten erhoben wurden und sogleich verfehlt. Wieso gibt es angesichts dutzender gebrochener Versprechen keinen Aufschrei oder zumindest einen, der nicht nach wenigen Stunden verpufft?

Die Antwort darauf heißt Fristenverschiebung: Sie besagt, dass ein Problem, dass unmittelbar und akut Unmut in der Gesellschaft verursacht, mit einer Fristenlösung auf die Zukunft vertagt wird d.h. ein Übergangszeitraum für die Umstellung der jeweiligen Industrie oder des betreffenden Rechtsrahmens, festgelegt wird. So scheint das Problem zunächst gelöst, vorerst widmet man sich wieder anderen Themen, die Medien orientieren sich um, etc. Der Kompromiss ist perfekt, denn die betroffene Branche erhält großzügige Umstellungsfristen und oft genug finanzielle Entschädigungen bzw. Förderungen, um diese zu erreichen.

Die amtierende Regierung hat in vielen Bereichen diese Lösungsstrategie zum Königsweg erkoren, gepaart mit dem Dogma der „freiwilligen Selbstverpflichtung“ versteht sich.

Nach 15 Jahren Merkel-Regierungen und gefühlt ebenso langer Großen Koalition, bleibt nur die Erkenntnis, dass dieser Königsweg ein Trugschluss ist. Das Problem wird vergessen, die Umstellung findet nun doch nicht statt, meist wird auf ordnungspolitische Maßgaben, also Gesetze verzichtet, die den Fortschritt innerhalb dieser Fristen kontrollieren. Wenn sich deren Ablauf nun nähert, beginnt der große Aufschrei. Von den enttäuschten Klimaschützer*innen, die sich (zurecht) betrogen fühlen und andererseits von den Lobbys der betroffenen Branchen, die gegen die staatliche Regelungswut agitieren. So werden vermeintlich schon erzielte Meilensteine im Nachhinein kassiert und es bleibt alles beim Alten. Oft werden dann neue Fristen gesetzt, die wiederum nicht eingehalten werden.

Beispiele gefällig?

  • Minus 65% Emissionen 2030; Klimaneutralität 2050
  • Keine Neuzulassungen von Verbrennern ab 2035
  • Ende der Kastenhaltung ab 2028
  • Kohleausstieg 2038

Das Bewusstsein in den Ministerien, dass heutige Beschlüsse Auswirkungen auf die Planungen der nächsten Jahrzehnte haben könnten, ist gering; das Denken in Legislaturperioden verbreitet und zugleich ungeeignet, um gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wirksam anzugehen.

 Das Ergebnis ist, dass keine der Krisen gelöst, sondern nur vertagt wird. Das Engagement der Menschen, um ein Projekt durchzusetzen oder es zu verhindern, wird zermürbt.

Feststeht, die Unmittelbarkeit eines Sachverhalts, spielt Bürgerbewegungen in die Karten. Sie sind motiviert, bauen auf breite Unterstützergruppen und mediale Aufmerksamkeit. Der „Druck von der Straße“, von dem oft die Rede ist, entsteht durch die Masse an Beteiligten. Die Androhung erheblicher Gesellschaftsteile, die amtierende Regierung abzuwählen ist die stärkste Waffe der Otto-Normalverbraucher*innen dieses Landes. Die Vertagung des Problems, oft um Jahre, bricht diese Bewegungen meist und spielt den Lobbyist*innen in die Hände, die nun lange Zeit haben, in undurchsichtigen Verfahren, die weniger intensiv medial begleitet werden, Schritt für Schritt die angedachten Regelungen aufzuweichen.

Der Schaden für die Demokratie ist vorprogrammiert und äußert sich in steigendem Politikverdruss, Vertrauensverlust und daraus folgend einer höheren Empfänglichkeit für populistische Lösungen, die einen autoritären Staat anstreben.

Um einem plumpen Dezisionismus entgegenzuwirken, müssen die Entscheidungsverfahren transparent, partizipativ und parlamentarischer sein. Denn das Parlament ist das Herz des liberaldemokratischen Staates. Dort treffen divergierende Positionen und Weltsichten aufeinander. Hier verhält man sich responsiver zu den Reaktionen der Öffentlichkeit und Straßen.

Die wenigen, noch übrig gebliebenen Momente der allgemeinen Mobilisierung, der Zuspitzung ohne Möglichkeit auf Fristenverschiebung, müssen daher genutzt werden. Das waren die Proteste am Hambacher Forst vor 2 Jahren; das ist der Widerstand zum Bau der A49 im Dannenröder Wald. Es ist ein unmittelbares Kräftemessen der Interessen. Und es ist ein greifbarer Schlüsselmoment in einer langen und komplexen Auseinandersetzung.

Quellen:

  • Machbarkeitsstudie des Wuppertal-Instituts im Auftrag von Fridays for Future

https://fridaysforfuture.de/studie/

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse:

https://mail.google.com/mail/u/0/#inbox/KtbxLvgstSvXBmjXkxVpPBPMRQcmXbcrZg?projector=1

  • Podcast: Theory of Change, Folge 2

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