Wie Manche versuchen das fossile Zeitalter zu verlängern.
Durch den Ukrainekrieg stehen langjährige Überzeugungen auf dem Prüfstand. Doch auch der eingeschlagene Weg zur Klimawende steht unter starkem Beschuss. Eine Entwicklung, die unsere Zukunft kosten könnte.
Wir stehen an einer Wegscheide der Menschheit. In diesen Tagen und Wochen entscheidet sich, wie unsere Zukunft aussehen wird. Es ist erschreckend düster, sowas zu denken. Ich denke es nicht, ich fühle es. Und das missfällt mir.
Schon oft haben wir solche Floskeln gehört, „es ist eine entscheidende Zeit“, „es geht um unsere Zukunft“ etc. aber selten waren sie ernst gemeint. Ich habe sie meist als Zeichen fehlender argumentativer Durchschlagskraft gedeutet. In diesen Tagen hören wir diese Floskeln erneut. Doch sie scheinen eher zu verschleiern, dass es wirklich eine entscheidende Zeit für die Menschheit ist, die anbricht. Vielleicht, weil wir die Floskeln schon so oft gehört haben. Vielleicht beruhigen sie uns, weil sie uns vertraut vorkommen; uns vermitteln, dass die Welt die wir kennen, nicht völlig aus den Fugen gerät.
Der Schrecken der Gewohnheit
Wir in Deutschland sind längst wieder in eine Art „Normalität“ zurückgekehrt, in der unsere Aufmerksamkeit für die Berichterstattung des Krieges in der Ukraine, 2-3 Artikel und vielleicht 5 Minuten in der Tagesschau einnimmt. Das ist den Meisten passiert. Wir wollen es uns bloß nicht eingestehen, weil wir uns dafür schämen, wie schnell wir uns an das zuvor Unvorstellbare gewöhnen konnten.
Dass wir in dieses bekannte Muster fallen, welches aus explosiver Anteilnahme, Empörung und emotionalen Debatten bis zur schnellen Gewöhnung besteht, ist kein Zufall. Der Wunsch, ein Problem, das man selbst nicht zu ändern können glaubt, at acta legen zu wollen, ist menschlich und wahrscheinlich die beste kollektive Bewältigungsstrategie unserer komplexen, rasenden, globalen Zeit. Dadurch verschwinden die Probleme aber nicht aus der Welt, nur aus unserem Bewusstsein. Wir packen sie in eine geistige Schublade und kehren zu unseren Alltags- und Erwerbsbeschäftigungen zurück. Um uns abzulenken, um so zu funktionieren, wie es von uns verlangt wird.
Komischerweise beweist genau dieses Muster, in das wir uns zurückziehen, wie sehr wir in einer Schockstarre leben, während um uns Entwicklungen vorangetrieben werden, die unsere Welt nachhaltig prägen. Wir haben nicht begriffen, dass das Ausmaß dieser Krisen ein anderes ist als von bisherigen.
Die Art und Weise wie Putin die Ukraine überfallen hat, erschüttert die regelbasierte, liberale Weltordnung. Die Vereinten Nationen sind abermals blockiert, weil der Täter die Zügel in der Hand hält. Das Vertrauen, die wichtigste Ressource in der Diplomatie, ist nachhaltig untergraben, nicht nur zwischen Russland und der Welt. Denn der Club der Despoten ist kein kleiner. Die Leistungen nach dem 2. Weltkrieg, alle Staaten so gut wie möglich auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, gemeinsam sich auf Verträge und Rechtsgrundlagen einigen zu können, ist gefährdet. Es gibt viele Abkommen, Verträge oder Grundrechte, die dem einen oder anderen Autokraten ein Dorn im Auge sind, weil sie seine Macht begrenzen.
Diese Verunsicherung betrifft beispielsweise auch das Pariser Klimaabkommen. Besonders in der Klimapolitik sind ein Mindestmaß an Kooperation und Vertrauen zwischen den Staaten unerlässlich, um nicht in die berüchtigte Trittbrettfahrer-Falle zu tappen, in der keiner etwas tut und jeder die Anderen dafür verantwortlich macht. Ich habe schon von mehreren Stimmen jetzt die Befürchtung gehört, dass vereinbarte Emissionsreduktionsziele auf der Kippe stehen.
Die Errungenschaften der Klimabewegung stehen auf dem Spiel
Fast von der Öffentlichkeit unbemerkt, werden in den letzten Wochen Beschlüsse gefasst, die uns im Kampf gegen die Klimakatastrophe um Jahrzehnte zurückwerfen. Im Namen der Energieunabhängigkeit von Russland, wird nicht der Ausstieg aus den Fossilen beschleunigt, sondern eine verstärkte fossile Nutzung in anderen Weltregionen begründet. Ich wundere mich wirklich, wie effektiv die fossile Lobby es geschafft hat, die Wiederaufnahme von Atomkraft, die Verlängerung von Kohlenutzung oder die Zukäufe von Gas aus Katar als sicherheitsrelevanten Akt der Solidarität mit der Ukraine zu definieren. Es ist schäbig und ethisch verwerflich und ökonomischer Irrsinn noch obendrein. Aber weil die Energiewende in den letzten Jahrzehnten verschlafen wurde, wird die Verlängerung der fossilen Zukunftsvernichtung als alternativlosen Schritt wahrgenommen.
Der „ach so grüne Söder“ fordert jetzt die Laufzeitverlängerung von Atom- und Kohlekraft;
die US-Regierung hat Brasilien um mehr Erdölfördermengen und Argentinien um mehr Erdgas aus Nordpatagonien gebeten;
der deutsche Wirtschafts- und Klimaminister geht in den Golf, um Despoten um Gas anzubetteln;
der US-Präsident erleichtert Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen in seinem Land;
der brasilianische Präsident nutzt den Ukrainekrieg als Vorwand, um Rodungen und Bergbau im Amazonasgebiet auszuweiten
und die EU-Kommission schlägt ernsthaft vor, die mühsam erkämpften Schonflächen (grüne Oasen), nun doch nicht für Natur- und Tierschutz vorzubehalten, sondern für die intensive Landwirtschaft freizugeben.
Diese Liste wird immer länger und unappetitlicher.
Das sind Beschlüsse, die ein paar Branchenverbände sehr freuen, aber alles zunichtemachen, was an kleinen Schritten in die richtige Richtung gegangen wurde. Es sind Blaupausen, die sich kaum nach dem Krieg einfach so wieder rückgängig machen lassen.
Schon die FDP-Forderung nach einem „Tankrabatt“, einer effektiven Subventionierung von SUV-Dienstwagenfahrern und Öl-Raffinerien, war schockierend. Mit jedem Tag wird deutlicher, dass das nur der harmlose Anfang einer konzertierten Klimaschutzverhinderungsstrategie war.
Was jetzt zu tun ist
Was wir Klimabewegten, Progressiven machen müssen, ist unendlich schwer. Wir, die uns von dem Versprechen eines Green-New-Deal einen tatsächlichen Wandel versprochen haben; Wir, die als Teil der Klimabewegung uns erkämpft haben, auf die Klimawende hoffen zu dürfen; wir, die nicht wieder von 0 aus anfangen wollen, müssen laut sein.
Den Finger in die Wunde legen und klarmachen, dass diese Krisen zusammenhängen. Jede*r Klimaschützer*in muss sich für ein Ende des Krieges einsetzen; jede*r Friedensbewegte*r muss sich für die Klimawende stark machen. 2020 haben wir mit dem Ausbruch der Pandemie gelernt, dass Klimaschutz auch Gesundheitsschutz ist. 2021 mit dem BVerfG-Urteil, dass Klimaschutz Freiheitsschutz ist. Und gerade sehen wir, dass Klimaschutz, Frieden und Sicherheit schafft.
Was bleibt? Hoffen? aufgeben? Nein, Aufstehen, durchbeißen, für eine klimagerechte Zukunft kämpfen. Das ist unsere Aufgabe in dieser alles entscheidenden Zeit. Lasst uns daran eine friedliche und klimagerechte Zeit anschließen lassen.
Quellen:
- TAZ: Zukunft der Energiewende: https://taz.de/Zukunft-der-Energiewende/!5841643/
- Spiegel: Klimakrise & Ukrainekrieg – Warum Biden gerade Klimaversprechen kippt https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/klimakrise-und-ukraine-krieg-warum-joe-biden-gerade-seine-klima-versprechen-bricht-a-99c59542-9642-4082-be23-cef4ad3f79ed