Gerechtigkeit (5): Wie wir Wirtschaften

Im 5. Beitrag der Gerechtigkeitsreihe, wird ein Sammelsurium an Problemstellungen in Sachen Gerechtigkeit behandelt, die unsere Wirtschaftsweise betreffen. In diesem Feld liegt einiges im Argen und manche Aspekte ökonomischer Gerechtigkeit wurden bereits in den vorangegangenen Texten angesprochen.

Ökonomische Ungleichheiten führen all zu oft zu politischen und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten. Das erlebt man heutzutage besonders in der neuen Branche digitaler Technologieunternehmen, wie Facebook, Mikrosoft, Google oder Apple, die eine enorme Marktmacht akkumulieren konnten und teilweise über Monopole in Nischenmärkten verfügen. Eine der Stärken des Kapitalismus, nämlich der freie Wettbewerb zwischen vielen kleinen Anbietern wird somit ausgehebelt. Durch die Ausweitung des Geschäftsmodells auf das Sammeln und Verkaufen von personalisierten Daten, steigt die Marktmacht noch zusätzlich, denn Neueinsteiger können mit Nichten auf ein vergleichbares Reservoir an kostbaren Nutzer*inneninformationen zurückgreifen und werden kaum mit ihrem Produkt Fuß fassen können.

Plattformökonomie

Und dann gibt’s noch diese Plattformen, die die Grenze zwischen Marktplatz und Anbieter*in aufheben. Es ist als würde die Schiedsrichterin beim Fußball mitspielen. Amazon, wäre hier als erstes zu nennen. Sie haben das Geschäft mit den Daten und das Aushebeln der Marktregeln perfektioniert. Amazon hat einige Produkte, die es selbst vertreibt, ist aber gleichzeitig als Portal für fast alles mittlerweile unumgänglich. Schon einige Male wurde das Unternehmen wie auch Google dafür gerügt, eigene Angebote zu bevorzugen. Eine Praxis, die von sog. Vergleichsportalen wie Check24 auch massenhaft praktiziert wird.

Allein diese Entwicklung ist schon äußerst problematisch, denn sie drängt einen möglichst demokratischen und freien Markt zurück, nicht weil dieser ungerecht sei, denn das ist er, sondern durch einige wenige Unternehmen, die sich alles erlauben können, sogar die Neufestlegung der Spielregeln. Die negativen Auswirkungen für regionale kleine Läden in Innenstädten aufgrund einer Amazon-Übermacht, sind hinlänglich bekannt. Und dann beschäftigen sie ihre Angestellten dermaßen prekär, dass ihnen sogar verboten wird, eine Gewerkschaft oder einen Betriebsrat zu gründen. Oft wird der Mindestlohn umgangen und zu allem Überfluss noch, werden die Steuern hinterzogen. Im letzten Jahr hat Amazon eine Gewinnsteigerung von über 30% verzeichnet und in der EU haben sie 0%…, wirklich Garnichts an Unternehmenssteuern zahlen müssen, während der Amazon-Chef der reichste Mann der Welt ist. Das kann keine*r erklären.

 Was die Unterbezahlung von Angestellten betrifft, sind weitere Plattformen wie Uber oder Lieferando kaum besser. Das Modell erzeugt eine Scheinselbstständigkeit, die im Klartext nur bedeutet, dass sich der Uber-Fahrer selbst um eine Krankenversicherung kümmern darf, die Plattform für die Vermittlung des Fahrauftrags aber trotzdem einen Großteil des Geldes abgreifen darf. Kein Wunder, dass eben diese Plattformunternehmen in den Börsen dieser Welt steil Berg auf klettern. Denn Aktionäre lieben „Kostenarme“ Unternehmen, die hohe Dividenden versprechen. Dass es sich hierbei um Menschenleben handelt, von denen weitere abhängen ist natürlich zu abstrakt im Vergleich zu hohen zweistelligen Kurszuwächsen, im Pandemiejahr wohlgemerkt.

Das Prekariat

Jede*r 5.e Arbeitstätige in Deutschland ist im Niedriglohnsektor beschäftigt. Leiharbeit, Werkverträge und befristete Beschäftigung treffen diese Menschen sehr hart, darunter viele junge Erwachsene, die ihre Familienplanung zurückstellen, weil ihre Arbeitsverhältnisse so unsicher sind. Über 1 Mio. Menschen in Deutschland muss aufstocken. Das bedeutet, dass eine Vollzeitstelle nicht reicht, um zu überleben und sie Hartz IV. beantragen müssen. Ein sog. Existenzminimum, das 1,60€ im Monat für Bildung ansetzt. Wie sollen Kinder, die in Hartz IV aufwachsen denn so Aufstiegschancen wahrnehmen? Überhaupt ist die mittlerweile größte Gruppe der Hartz-IV-Bezieher*innen, Kinder. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Und trotzdem sind manche Jobs so dermaßen unterirdisch schlecht bezahlt, dass es sich für manch eine*n lohnt, nicht zu arbeiten. Die Neoliberalen würden dann sagen, dass Hartz IV zu hoch läge. Die Löhne sind aber zu niedrig. Wer heute schlecht verdient ist im Alter stark von Armut bedroht und das wissen sie. Diese Ungleichheiten verlagern sich auch immer stärker in den Vermögensbereich. ¼ der Bevölkerung hat ein Einkommen, das geringer als 1.000€ ist, die Hälfte weniger als 5.000€. Die reichsten 10% besitzen mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens. Aber die Wirtschaftsunion beschimpft lieber die Forderung nach einem Mindestlohn von 12€ oder einer Vermögenssteuer von 1% ab 2 Mio.€ als „kommunistische Hirngespinste“ anstatt die Lage der ärmeren Hälfte der Gesellschaft zu verbessern, bravo.

Eine Zahl hat mich in den letzten Wochen besonders schockiert. Aufgrund der unglaublich schlechten Arbeitsbedingungen und der hohen Belastung während der Pandemie, denken 1/3 der Pfleger*innen daran, nach Corona, ihren Job zu wechseln. Das würde nach der Gesundheitskrise noch den Pflegenotstand bedeuten. Die in den letzten Jahrzehnten vorangetriebene Privatisierungswelle von Einrichtungen des Gesundheitssektors, haben Pflegequalität und Pflegeschlüssen einer falsch verstandenen Effizienzmythologie geopfert. Krankenhäuser im ländlichen Raum schließen, weil sie sich nicht tragen, Alten- und Pflegeheime gehören zu großen Aktiengesellschaften, die mit schlechter Versorgung der Heimbewohner*innen und noch schlechterer Bezahlung der Angestellten ihre Dividenden ausschütten. Wie soll sich die Daseinsvorsorge in diesem Land in Zukunft entwickeln, wenn wir massiv von unten nach oben umverteilen?

Schulden und die Zukunft

Damit ist ein Dauerbrenner deutscher Finanzpolitik angeschnitten, die Schwarze 0, die zwar Corona-Bedingt ausgesetzt ist, von vielen aber schon bald wieder zurückgefordert werden wird. Der dadurch verursachte Investitionsstau ist so immens, dass sogar schon die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft darunter leidet, v.a. leiden aber die Schulkinder in maroden Schulgebäuden und die Kleinunternehmer im ländlichen Raum, die keinen Glasfaseranschluss haben. So fehlen Wirtschaft und Gesellschaft die Krisen Resilienz.

mit der Austeritätspolitik ist zwar die Liquidität zur Krisenbewältigung vorhanden, aber proaktive Krisenprävention sieht anders aus. Gezielte Investitionen in die Zukunft, die Bildung, Infrastruktur und Gesundheit stärken und sozialökologisch transformieren sind die besten Garanten für positive Wirtschaftsentwicklung, sozialen Frieden und eine starke Demokratie. Es liegt auf der Hand, dass die Krisen unserer Zeit eng miteinander verknüpft sind. Der soziale Zusammenhalt bricht nicht zuletzt aufgrund von Bildungsungerechtigkeiten und einer Spreizung der Schere zwischen Arm und Reich. Die „Demokratiekrise“ wird von der Unzufriedenheit marginalisierter Gruppen gespeist, die den übermäßigen Einfluss von Lobbyverbänden monieren. Die Klimakrise stellt v.a. die bereits unterprivilegierten besonders unter Druck, umso wichtiger ist eine solidarische Klimapolitik, die neue Verteilungsfragen mit dem nötigen sozialen Gespür lösen kann.

Wir sehen, wie viel Schaden der Rückzug des Staates in entscheidenden Bereichen der Infrastruktur und der öffentlichen Versorgung angerichtet hat. Das soziale Gefüge und die demokratische Stabilität unserer Gesellschaft leiden unter wachsender ökonomischer Ungleichheit. Diese einzudämmen und zu verringern, ist eine zentrale Aufgabe der kommenden Jahre.

Quellen:

  • Blätter 2/2021: EU gegen Big Tech: Das Ende der Gesetzlosigkeit? (S. 95ff)
  • Blätter 3/2021: Schuldenbremse oder: die Abkehr von einem Dogma (S. 7ff)
  • Blätter 3/2021: Gamestop oder: der letzte Warnschuss (S. 11ff)

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