Die Krisenkanzlerin

Ein Rückblick auf Merkels Regentschaft

Klimakanzlerin? Eurokanzlerin? Flüchtlingskanzlerin? Wahrscheinlich ist die zutreffendere Beschreibung von Merkels Kanzlerinnenjahren das Wort Krisenkanzlerin. Unter ihrer Kanzlerschaft haben sich ihre Parteien, der Politikstil und die politische Großwetterlage maßgeblich gewandelt und sie hat die Krise zu ihrer Tugend gemacht.

Beginnen wir chronologisch: Nachdem Angela Merkel ihrem Ziehvater Kohl die Treue bei der Spendenaffäre verweigerte, wurde sie zumindest innerparteilich als ernstzunehmende Konkurrentin wahrgenommen. In den nächsten Jahren der Opposition zur Rot-Grünen Schröderregierung, profilierte sie sich langsam zu einer Alternative zu Merz und später zu Schröder selbst. Sie bewies taktische Klugheit und Machtwillen, als sie Konkurrenten dezent aus dem Weg räumte und 2002 bei der Bundestagswahl, Edmund Steuber im heute schon legendären Wolfratshausener Frühstück, den Vortritt als Kanzlerkandidat der Union überließ. Sie wusste, dass sie noch nicht soweit war, wie auch ihr Mentor Kohl, der 1980 mit Franz-Joseph Strauß dasselbe gemacht hatte. Wenige Jahre später, triumphierte sie und gewann die Wahl 2005.

Merkel hatte relativ schnell verstanden, dass in einer so machtzentrierten und dazu noch konservativen Partei wie der CDU, nach einer Ära, die zweifellos Kohls 16 Jahre war, zunächst eine Phase der Orientierungslosigkeit und der Machtkämpfe durchzustehen sei. Mit dem für die Union sicherlich als Verbannung verstandenen Wechsel zur Oppositionsbank und dem folgenden Spendenskandal, war der Abgang alles Andere als glorreich. Die Union musste sich neu erfinden und der Übergangsvorsitzende Scheuble stand schon damals, vor über 20 Jahren nicht für die Erneuerung, die die Partei brauchte, um ihren „rechtmäßigen Platz“ wiederzuerlangen. Eine inhaltslehre CDU war damals wie heute ein großes Problem für potentielle Thronfolger. Merkel konnte ihre Partei und schließlich die Bundesbürger von sich überzeugen, weil sie die Erneuerung verkörperte. Dafür hat sie sich nostalgiefrei von ihrem Förderer losgesagt und versucht die Partei mindestens in der Wahrnehmung moderner und weiblicher zu machen. Das haben ihr die Leute abgekauft und sie konnte neue Wählergruppen für die Union erschließen, was den Niedergang der SPD beschleunigt und den der Union etwas verzögert hat.

Asymmetrische Demobilisierung

Dieses Wortungetüm beschreibt Merkels Strategie, Erfolgsrezept und doch zugleich die Erosion demokratischer Auseinandersetzung im Land. Denn ein geräuschloses Regieren und Wahlkämpfen führt v.a. zu einer Entpolitisierung der Bevölkerung und der Debatte. Ihr bürokratisches sachliches naturwissenschaftliches auftreten kam zunächst den Testosteron Mythen deutschen sehr gelegen. Es zeigte sich jedoch auf Dauer das auch Sie stärker beteiligt werden wollten als Merkel es ihnen zu Gestand. So kam es, dass Deutschland in einen „Dornröschen Schlaf“ viel, ohne sich diesen eigentlich leisten zu können. Die bequeme Haltung in der Bevölkerung, dass „Mutti“ es schon richten würde, hat uns Debattenmüde und Konfliktunfähig gemacht.

Umso härter wurden wir geweckt, wenn die sich anbahnenden Krisen endlich ein für die deutsche Innenpolitik relevantes Ausmaß erreichten und der schöne Heileweltstraum abrupt beendet wurde. So war es bei der Staatsschulden- und Bankenkrise, die zur Gründung der AFD führte; bei den humanitären Konsequenzen wirtschafts-, außen- und entwicklungspolitischen Versagens der EU in 2015, die zur medialen Überhand der AFD und ihrem Einzug in den Bundestag beitrugen.

Die Verweigerung der offenen Debatte, der verwaltungsbürokratische Duktus ihres Regierens, haben unserer Demokratie nicht gutgetan.

Die „Alternativlose“

Ihre reaktive Politik, die sich stehts an aktuellen Umfrageergebnissen ausrichtete, konnte sie nur dank ihrer inhaltlichen Nichtfestlegung glaubwürdig umsetzen. Sie machte den Positionswechsel zur Tugend und beschloss den Ausstieg aus dem Atomausstieg, nur um ihn nach der Atomreaktorkatastrophe 2011 erneut zurückzunehmen; unter ihrer Kanzlerinnenschaft wurde die Wehrpflicht ausgesetzt, die Ehe für alle und der Mindestlohn eingeführt. Das wurde allgemeinhin als Sozialdemokratisierung der Union fehlgedeutet. Merkels Anspruch war lediglich, den Status der Union als „Volkspartei“ in einer gesellschaftspolitisch moderneren Bevölkerung zu sichern. Würde sich das Blatt wenden, hätte sie keine Probleme damit gehabt, die Union konservativer auszurichten.

Sogar Merkels tief-verankerter Neoliberalismus, schien in ihren letzten Regierungsjahren in den Hintergrund gerückt zu sein. Angesichts des von ihr erarbeiteten Leipziger Parteiprogramms 2003 und ihrer Aussprüche von „alternativlosen“ Bankenrettungen und dem Streben nach einer „marktkonformen Demokratie“, schwer vorstellbar.

Das Fehlen einer Vision war ein Manko ihrer Amtszeit. Allerdings konnte sie in Krisenzeiten mit ihrer nüchternen und unideologischen Art punkten. Merkel als Krisenmanagerin, darin gefielen sich alle Akteure. So haben sich alle Blicke auf sie gerichtet, im internationalen Parkett, innerparteilich, medial. Die Präsidentialisierung der Kanzlerschaft wuchs dadurch enorm. Da Merkel meist in Großen-Koalitionen regierte, verschob sich der Fokus somit vom Parlament und der kleinen Opposition weg, hin zum Kanzleramt oder EU-Rat, wo Merkels legendäre Qualitäten als nächtliche Verhandlerin zum Tragen kamen.

Die großen Krisen unserer Zeit hat sie jedenfalls nicht gelöst und kaum Anstrengungen darauf verwendet, sei es bei der Bekämpfung der Klimakrise, bei der Stärkung der EU, bei der Sicherung einer multilateralen Weltordnung oder der Herstellung sozialer Gerechtigkeit.

Die Bilanz der letzten 16 Jahre ist somit sehr durchwachsen, obwohl nicht Merkel alleine für die Probleme unserer Zeit verantwortlich ist. Fest steht aber, dass die Zeit des Unterlassens, des Status-Quo schleunigst beendet werden muss. Wir müssen den Mut wiederfinden, proaktiv in die Zukunft zu handeln.

Quellen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.