Ein Gastbeitrag
Pablo Neruda, ein berühmter lateinamerikanischer Dichter, schrieb einst ein Gedicht namens „La Ola“, auf Deutsch „Die Welle“. Dieses Gedicht beschreibt sehr einfach die Bewegung der Wellen an einer Küste, dieses Hin und Herdas uns Menschen schon immer fasziniert hat. Seien es Sinuswellen, Schallwellen oder die Wellen des Ozeans, solche Kreisläufe und Prozesse sind Teil unseres Alltags. Auf eine Aktion folgt immer eine Reaktion. So ist es auch mit der Globalisierung. Die voranschreitende Verflechtung von Ökonomie, Politik, Kultur und Gesellschaft weltweit, führt zu einer entgegenwirkenden Bewegung des Protektionismus. Länder wie Großbritannien, die den Brexit beschließen oder die USA, die höhere Zölle auf ausländische Waren verhängen, wollen durch solche Maßnahmen wieder die eigene Wirtschaft stärken, sich unabhängiger machen und vom globalisierten Markt abgrenzen. Dies geht auch häufig mit Nationalismus einher. Die weltweiten Entwicklungen sind erschreckend; Donald Trump in den USA, die UKIP in Großbritannien, Bolsonaro in Brasilien, Polen, Ungarn, Putin und Erdoğan. Ihre Politik ist das Gegenteil von Weltoffenheit und lebt vom Motto „Mein Land an erster Stelle!“, alles andere ist egal.
Wenn man dies so gegenüberstellt, klingt es aber, als wären die Wellen der Menschheit ein ständiger Wechsel zwischen Gut und Böse und als wäre die Globalisierung, die dem Nationalismus gegenübersteht, das Gute. So schwarz-weiß ist unsere Welt jedoch nicht. Die Globalisierung ist sehr vielseitig und birgt viele Chancen, wie auch Risiken.
Wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke, sehe ich ein deutliches Beispiel kultureller Globalisierung, eine „Kulturmelange“ (Breidenbach & Zukrige) von Brasilianischem und Deutschem. Ich wuchs zwischen Samba und Dirndl, Kaiserschmarn und Feijoada auf. Schaute Telenovelas und hörte mir am nächsten Tag in einem „Biene Maja“ Pyjama eine „Benjamin Blümchen“- Kassette an. Von meiner Oma bekam ich brasilianische Comics zu lesen und von meinem Vater alle sechs Monate einen Stapel mit „Hexe Lilli“ und „Die drei Fragezeichen“. Mir kam nie etwas davon fremd vor, beide Seiten vermischten sich und waren Teil meines Lebens. Diese Vermischung von Kulturen kann aber auch oft eine Verdrängung bedeuten, wie sie global durch die Verwestlichung der Medien und des Konsums passiert.
Die brasilianische Rockband „Legião Urbana“, auf Deutsch „Urbane Legion“ sang bereits in den 90ern von der „geração Coca-Cola“, eine ganze Generation, die Coca-Cola trinkt, McDonalds isst und sich US-amerikanische Sitcoms anschaut. Durch die Globalisierung verbreitete sich also nicht nur der Kapitalismus, sondern auch das US-amerikanische Konsumverhalten, Fast-Food, Streetwear, die Jeans und Marken wie Nike. Fast überall auf der Welt tragen die Menschen dasselbe, sehen sich ähnliche Filme an, hören dieselbe Musik. Eigentlich könnte man sagen, dass Musik eine Ausnahme ist, ja sogar ein Beispiel für eine Chance der Globalisierung. Anstatt sich zu homogenisieren, wird Musik durch die Vermischung verschiedener Kulturen und Stile immer vielfältiger, schafft es aus fremden Teilen eins zu machen. Der sogenannte Stileklektizismus. Er kann von Songs auf mehr als einer Sprache, über Vermischung von Hip-Hop und Klassik bis zu einem Remix eines Sambaliedes reichen. Und durch die Globalisierung wird auch mehr Wert auf einheimische Musik gelegt, Viele präsentieren stolz ihre nationalen Rhythmen und Melodien, wollen, dass die ganze Welt sie hört.
So auch ich mit Legião Urbana. Ein weiteres Lied der Band, namens „Índios“, thematisiert die Unterdrückung und den Genozid indigener Völker durch den weißen Mann. Die Globalisierung verstärkt auch das. Verdrängt Indigene immer mehr aus ihren Lebensräumen, teils durch ihre Zerstörung, teils durch direkte Attacken, und zwingt diese Völker sich zu ändern, um sich in den westlichen Lebensstil integrieren zu können. Dadurch gehen immer mehr indigene Kulturen, ihre Bräuche, Wissen und Sprache verloren. Da wir bereits über Sprache und Legião Urbana sprechen, erlaube ich mir noch einen passenden Songtext aus dem Lied „monte castelo“ anzufügen: „Und auch wenn ich die Sprache der Menschen, wenn ich die Sprache der Engel ohne Liebe sprechen könnte, wäre ich nichts.“
Selbst wenn hier der Sänger Renato Russo poetisch ausschweift und die Bedeutung der Sprache als unwichtig erklärt, ist sie doch in der Realität essenziell. Um sich verständigen zu können, um Wissen zu vermitteln, um zu verhandeln und somit Kriege zu vermeiden. Und es gibt nichts Traurigeres, als wenn eine Sprache, wie Navajo oder Hawaiianisch, ausstirbt.
Andererseits ist die Globalisierung auch verantwortlich für die Entstehung neuer Sprachen. Unter ihnen Esperanto, eine künstlich erschaffene Sprache, die der weltweiten Verständigung dienen soll. Wenn man sich, wie ich, mithilfe von „Duolingo“, an das Erlernen der Sprache wagt, wird einem schnell klar, welches Thema die weltweite Verständigung lenkt, nämlich die Arbeitswelt. Zudem ist die App sehr auf die USA fokussiert, denn man lernt gleich in den ersten Lektionen Sätze wie: „Mi laboras en la oficejo. Mi venas el Usono.“, was so viel bedeutet wie „Ich arbeite im Büro. Ich komme aus den USA.“ Man könnte Esperanto als gescheiterten Versuch einer Weltsprache sehen, aber dieses Beispiel mit der Auswahl der Beispielsätze dieser Sprach-App, zeigt uns wo tatsächlich der Schwerpunkt der Globalisierung liegt; auf der Wirtschaft.
Die Wirtschaft, die dafür sorgt, dass unsere billige H&M Kleidung in Ländern wie Bangladesch von unterbezahlten Näher*innen produziert wird. Während meine Mutter mich als Kind vor der Verblödung durch „Hannah Montana“ schützen will, gibt es gar nicht so weit entfernt Kinder, die in Minen arbeiten müssen und jeden Tag großen Gefahren ausgesetzt sind. Diese Kinder kann keiner vor den westlichen Einflüssen durch die Globalisierung schützen, weil sie und ihre Familien jedes Geld brauchen, um nicht zu verhungern. Der Großteil der Kinderarbeit wird von 5- bis 11-jährigen in Südostasien und Afrika ausgeübt. (ILO, Global Child Labour Trends). In diesem Alter habe ich mit Puppen gespielt, mit meiner Familie gepicknickt und in der Schule das 1 mal 1 gelernt. Egal wie sehr man die kulturelle Globalisierung kritisieren möchte, die wahren Schattenseiten der Globalisierung zeigen sich erst in der Wirtschaft, wenn Länder in Südostasien ausgebeutet, Menschen zu sklavenähnlichen Bedingungen angestellt und Kindern die Bildungschancen verwehrt werden. Oder fast ganze Kontinente wie Afrika aus dem Weltmarkt ausgeschlossen und sich selbst überlassen werden. Es sind die Großmächte und Regierungen dieser Welt, die sich wie Grundschulkinder verhalten, die in der Pause ein Kind vom Fußballspiel ausschließen, weil sie es schon aufgegeben haben, da es einfach zu schlecht ist. Dieses Kind ist Afrika. Und es darf nicht nur nicht mitspielen, sondern verreckt förmlich in der Ecke, geplagt von Armut, Hunger und durch die Klimakrise bedingte Dürren.
In dem Lied „Faroeste Caboclo“ von unserer bereits bekannten brasilianischen Band, geht es um einen armen Jungen vom Land, der sein Glück in der Hauptstadt Brasília versucht, dort jedoch auf einen Drogendealer stößt und aufgrund der Geldnot in illegale Geschäfte einsteigt, die ihm letztendlich in einem Duell den Tod bringen. Sein Traum war es, mit dem Präsidenten zu reden, um Maßnahmen gegen das Elend Brasiliens auszuhandeln. So darf die Globalisierung nicht auch enden. Die Träumer*innen dieser Welt, die diese Ungerechtigkeiten und Armut bekämpfen wollen, dürfen nicht sterben, bevor sie ihr Ziel erreicht haben. Allerdings ist die Gegenbewegung, der Protektionismus, auch nicht die Lösung, da die Verlierer der Globalisierung so weiterhin allein gelassen werden. Das Problem muss angegangen werden. Vielleicht wenn der Mensch die Lockungen des Kapitalismus ausblendet und sich wieder von kleinen Dingen, wie der Bewegung einer Welle faszinieren lässt. Dann mag einem der Kampf um die Gerechtigkeit doch gar nicht so banal erscheinen.