Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt zeigt v.a., dass die politischen Lebenswirklichkeiten zwischen Ost und West, über 30 Jahre nach der deutschen Einheit, so unterschiedlich sind, dass kaum noch gegenseitiges Verständnis besteht.
Klar ist, dass die 40 Jahre in Trennung immer noch prägend sind. Was von Politik gedacht und erwartet wird unterscheidet sich enorm. Das Misstrauen gegenüber politischen Eliten ist in den neuen Bundesländern naturgemäß verbreiteter. Die alten Bundesländer sind stark von den sozialen Bewegungen der 70er und 80er geprägt, die linksliberale Themen in die Breite der Gesellschaft getragen haben.
Plakativ kann man sagen: Im Westen sind viele freiwillig Postmaterialist*innen, weil sie die Schattenseiten der Konsumgesellschaft für soziales Gefüge und Umwelt erleben. Die Menschen im Osten sind erzwungenermaßen im Postmaterialismus, weil sie materielle Sicherheiten, Arbeitsplätze und Sozialsystem, in den Nachwendejahren verloren haben.
Das Gefühl schlechter gestellt, der BRD nur beigetreten zu sein wird natürlich von Gruppen, die von der Spaltung profitieren wollen gezielt verstärkt. Besonders ist aber die Bevölkerungs- und Raumstruktur ein Erklärungsgrund für divergierende Ansichten. Die Bevölkerung im Osten ist deutlich älter, männlicher und die Struktur ländlicher. Bis auf wenige wachsende Zentren, veröden dörfliche Regionen. Der Rückbau der Infrastruktur betrifft somit besonders die neuen Bundesländer, ist aber weniger dem Ost-Westgefälle verschuldet, sondern Stadt-Landunterschieden.
Problem Rechtsextremismus
Die Vernachlässigung ostdeutscher Bedürfnisse über Jahrzehnte hat ein gefährliches Gemisch an Politikablehnung, Westkritik und Demokratieenttäuschung ermöglicht, das von Rechtsextremen kanalisiert und gemehrt wird. Bereits in den frühen 90ern sind führende NPD-Kader vom Westen nach Osten gezogen, um dort Machtzentren aufzubauen. In einigen Dörfern wird das einzige Wirtshaus von einem Neonazi betrieben. So wird die Normalisierung faschistischer Ideologien im Alltag vorangetrieben und von den anderen in Kauf genommen, weil das Dorfleben von diesen Personen und Gruppen maßgeblich getragen wird.
Neonazi Zentren gibt es auch in Oberfranken und Nordhessen. Dort wo eine Deindustrialisierung mit Landflucht zusammenkommt. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Demokratieprogramme v.a. im ländlichen Raum sind lebensnotwendig, müssen aktuell aber um die staatliche Finanzierung ihrer Projekte bangen. Ein fatales Zeichen. Ein weiteres Verlassen der Demokratieakteur*innen vor Ort wäre kaum verkraftbar. Dringend notwendig ist hingegen eine gezielte Erweiterung und Verbreiterung progressiver Demokratieprojekte v.a. für Jugendliche im ländlichen Osten.
Es scheint, dass bei der deutschen Einheit ein Teppich blühender Landschaften und Fassaden über die Gräben geworfen wurde, die in 40 Jahren Trennung und Feindseligkeit entstanden. Dieser Teppich aus Westgeld diente v.a. der Westberuhigung, während darunter unbemerkt Rechtsautoritäre an der Vertiefung und Verbreiterung dieser Ost-West-Zerwürfnisse gearbeitet haben. Ihr Ziel ist zweifelsfrei die Spaltungen voranzutreiben, bis es den Demokrat*innen nicht mehr möglich ist, die Brücken des demokratischen Dialoges über diese Klüfte hinweg zu bauen. Das zu verhindern, ist die strukturelle Aufgabe des anbrechenden Jahrzehnts. Mit dem Naturschutzprojekt des Grünen-Bandes, welches von Ost und West gleichermaßen und gleichberechtigt verwirklicht wurde, scheint wie ein Leuchtturm der Wiedervereinigung. Davon brauchen wir mehr!
Und eine Brücke v.a. eine diskursive, baut sich nachhaltig nur, wenn es aus beiden Seiten geschieht.
In der Rubrik der Kurzintervention wird ein unmittelbarer, aktueller Sachverhalt kurz und sehr persönlich kommentiert. Dabei sollen weniger als 500 Wörter sowie höchstens 30 Minuten aufgewendet werden, um die eigene Position darzulegen.