24.09.2017
Zum ersten Mal nach 1953 wird eine offen faschistische Partei im Bundestag sitzen.
August 2018:
In Chemnitz verabreden sich hunderte Neonazis und „neu-Rechte“ und veranstalten Hetzjagden gegen Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund. Der damalige BfV-Chef Maaßen weigert sich die Angriffe als Hetzjagden anzuerkennen und löst eine Regierungskrise aus.
29.08.2020
Etwa 100 Rechtsextreme durchbrechen Absperrungen vor dem Reichstagsgebäude, während einer „Querdenker-Demo“, schwenken Reichsfahnen, rufen Demokratiefeindliche Parolen und zeigen Hitlergrüße
18.11.2020
Die Handlanger der blau-braunen Fraktion im Bundestag, haben sich als parlamentarische Besuchergruppe getarnt, Zutritt zum heiligsten Gebäude unserer Demokratie verschafft. Sie nötigen, bedrohen und beschimpfen andersdenkende Parlamentarier*innen in den Gängen des Bundestags.
Nazis raus aus dem Bundestag!
Mir fehlen die Worte …
Als ich davon hörte, lief ein kalter Schauer durch meinen Körper. Wie konnte es sein, dass Parlamentarier im Parlament von Besucher*innen bedroht und beschimpft werden? Und dann noch dieses Video, in dem Herr Altmeier von einer Frau angegangen und wüst beschimpft wird. Es ist kaum zu ertragen… Es ist unfassbar. Ich wünschte, ich könnte mein Entsetzen in Worte fassen, aber wie gesagt, sie fehlen mir …
Im Plenarsaal wurde die Verabschiedung des 3. Infektionsschutzgesetzes debattiert. Ein komplexer Sachverhalt. Ein Thema, wo man kaum nur einer Meinung sein kann und soll. Eine Entscheidung, die einschneidend ist, die uns Bürger*innen bewegt. Eine Entscheidung, für die Parlamente gemacht wurden.
Und genau diese edelste parlamentarische Aufgabe, nämlich das Zentrum einer bundesweiten Debatte abzubilden, verängstigt autoritäre Geister, wie sie leider seit 3 Jahren gehäuft durch die Gänge des Reichstages laufen. Ihnen kam es gelegen, dass deren Handlanger während der Debatte in den Gängen, Jagd auf vorbeigehende Abgeordnete anderer Parteien machten.
Solche Aktionen verfolgen nur einen Zweck: Andersdenkende einzuschüchtern, ihre Meinung zu verbieten, sie unter Druck zu setzen. Wer nicht im Parlament seine Ziele erreicht, versucht es auf der Straße z.B. durch Demonstrationen. Die AFD scheint es durch Hinterhalte zu versuchen.
Die langjährige Strategie der NPD, zunächst die Straßen, dann Parlamente und Köpfe zu erobern, scheint doch ganz anders gemeint gewesen zu sein, als wir naiven Demokrat*innen dachten. Sie wollen Angst machen und ihre Ansicht mit Gewalt durchsetzen, sei es auf der Straße mit Hetzjagden wie in Chemnitz, jetzt im Parlament mit diesen Übergriffen oder den Köpfen bspw. von Lokalpolitikern, die schon so oft nach Drohungen aus der Rechtsextremistischen Szene gegen sich oder die eigene Familie, zurückgetreten sind.
Die Selbstzensur ist ihr Ziel. Denn wenn keine*r es mehr wagt, ihnen zu widersprechen, haben sie die diskursive Überhand erlangt, wovon sie seit den 70er Jahren träumen. Der Vordenker der „nouvelle droite“ Alain de Benoist hat dieses Ziel ausgegeben. Unter Rückgriff auf die marxistische Theorie der Kultur-Hegemonie Antonio Gramscis soll der Raum des „Sagbaren“ so verändert werden, dass rechtes d.h. völkisch-autoritäres und nationalistisches Gedankengut nicht nur ein Teil davon werden, sondern weithin akzeptiert sind. Oft wird von einer „Erweiterung des Sagbaren“ gesprochen, dabei ist es eigentlich eine Verengung. Der Widerspruch wird verpönt und das ist das Rechte Verständnis von Meinungsfreiheit, nämlich dass sie und allein sie alles widerspruchslos absondern dürfen, was ihnen gerade in den rechten Sinn kommt.
Und hier kommt noch der Gipfel der geschmacklosen Inszenierung: Während die Schläger der AFD andere Abgeordnete bedrängten, behaupteten ihnen gleichgesinnte Redner*innen im Plenum, das Infektionsschutzgesetz sei „ein Ermächtigungsgesetz“. Auch das ist ein wesentlicher Bestandteil der leider bislang erfolgreichen Strategie der „neuen Rechten“, ihre diskursive Überhand zu erreichen. Die Verharmlosung von NS-Begriffen, in dem man sie anderen vorwirft, somit sowohl den Eindruck erweckt, nicht selbst Anhänger*in dieser Ideologie zu sein als auch den Begriffsraum erweitert, sodass alles Mögliche darunter gefasst wird. Angesichts der konzertierten Aktion, die sich hinter den Türen des Parlaments zugetragen hat, könnte man glauben, die „Ermächtigung“ wäre Gaulands Wunschdenken gewesen, welches ihn zu dieser Aussage bewogen hat.
Wer mich kennt, weiß, dass ich immer ein Grundgesetz in der Tasche bei mir habe. Hin und wieder, wenn sich die Gelegenheit ergibt, greife ich danach und lasse meinen sehenden Gesprächspartner, den ich zu belehren versuche, einen bestimmten Artikel daraus vorlesen. Denn ich bin im Grunde doch nur ein hoffnungsloser Sokratiker, der daran glaubt, dass die Erkenntnis in jedem steckt und nur herausgekitzelt werden muss. Oder vielleicht war ich es, denn bei AFD-Anhänger*innen zweifle ich gewaltig an Selbsterkenntnis und Hebammenkunst.
Es ist unendlich traurig zu erleben, wie die AFD seit ihrem Einzug in dieses Gebäude, alles wofür es steht zu untergraben versucht. Die Schritte werden immer brachialer, immer radikaler in Rhetorik und Ausführung. Niemand kann den Schuss überhört haben; niemand kann behaupten, nicht zu wissen, was ihr Ziel ist und niemand, der sich als Demokrat*in bezeichnet, kann dieses Ziel gutheißen.
Die Bundesrepublik ist eine gefestigte Demokratie. Ich will, dass sie es bleibt. Das kurzfristig wirksamste Mittel dafür, wäre das Kapitel (AFD im Bundestag), im nächsten Jahr beenden zu können.
Quellenhinweise:
- Melanie Aman: „Angst für Deutschland!“, die Wahrheit über die AFD: Wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert; 02.03.2018
- Astrid Séville: „Vom Sagbaren zum Machbaren?“, rechtspopulistische Sprache und Gewalt, vom 29.11.2019