Parteitage der AFD sind traditionell von starker medialer und öffentlicher Aufmerksamkeit begleitet. Wer die Debatten dort verfolgt, bekommt meist ehrlichere Aussagen über die tatsächlichen Ansichten dieser Partei zu hören, als in Interviews oder Parlamenten. Meist sind diese Aussagen radikaler… Außerdem sind die Abstimmungen, Reden und Debatten bei solchen Versammlungen, für aufmerksame Betrachter extrem gute Seismografen zur zukünftigen Ausrichtung der Partei.
So auch der 11. Parteitag der AFD in Kalka am Niederrein, am Wochenende des 28-29. Novembers. Schon einige Tage davor wurde heftig diskutiert, denn als einzige Partei, wollte die AFD nicht auf einen Präsenzparteitag mitten in der Corona-Pandemie verzichten. Schon hier wird deutlich, dass Corona nicht nur die Gesellschaft verändert hat, sondern in besonderem Maße auch die AFD. Ein neues Thema ist der etwas orientierungslosen Partei zugeflogen. Durch die „Querdenken“ Proteste, bot sich ein neues Wählerklientel an, vergleichbar mit PEGIDA in 2014-15. Und Corona wirkt auch im Inneren der AFD als Brennglas, denn die Richtungskonflikte brechen an der Corona-Frage noch deutlicher auf denn je.
Im März kritisierte die Bundestagsfraktion die Bundesregierung noch, sie würde zu lasch und träge gegen die Pandemie vorgehen. Eine naheliegende Positionierung, da sich die AFD gerne als Partei des law and order, der Ordnung und Disziplin beschreibt. So konnte man die „Untätigkeit der Nation“ bei der Eurokrise sowie die „Gefahr durch Flüchtlinge“ für sich nutzen. Aber bei dieser Krise, hat der Staat umfassend gehandelt. Umfragen zeigen, dass auch AFD Anhänger*innen mit einer breiten Mehrheit hinter den Beschlüssen zur Corona-Bekämpfung stehen.
Populismus aber ist ein hoch anpassbares Instrument der politischen Auseinandersetzung. Und so machte man sich alte Verschwörungserzählungen zu nutze, um sie im neuen Gewandt zu aktualisieren. Ein buntes Sammelsurium aus Esoterikern, Impfgegnern und Rechtsextremen fand sich zunächst in den Ecken des Internets und später auf der Straße zusammen. Die Chance für die AFD war gekommen, wieder die diskursive Übermacht zu erlangen. Man kann ihnen nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben. Im Bundestag sprachen sie von „Ermächtigungsgesetz“, sie Luden Rechtsextremisten in den Bundestag ein, um andere Politiker zu gängeln und zu bedrohen, sie gingen offensiv auf Kuschelkurs mit den „Querdenkern“, machten sich die Parole „Corona-Diktatur“ zu eigen…
Der Parteitag, ein Paukenschlag
Diese Kursänderung um 180° schien strategisch sinnvoll, hat den Umfragerückgang allerdings nicht aufhalten können. Zu Jahresanfang lag die AFD bei 14%, heute sind es zwischen 10 und 7% je nach Umfrage. Die dem sog. „Flügel“ nahestehenden Strömungen, werfen dem Parteichef Jörk Meuten vor, dieses Umfragetief verschuldet zu haben. Mit dem Rauswurf des Faschisten Kalbitz, hatte er sich im Bundesvorstand durchgesetzt. Einer der im Parteitag gestellten Anträge, wollte sogar die Schuld Meutens an der Misere von den Delegierten beschließen lassen. Die Nervosität in den Reihen der AFD jedenfalls, ist greifbar. Noch nie wurde in den Redebeiträgen der Mitglieder so oft von „Wählergruppen erschließen“ oder „diese Position nützt uns in den Umfragen“ gesprochen.
Eine verunsicherte Partei ringt um ihren Kurs. Das wurde bereits nach weniger als 2 Stunden Parteitag deutlich, als der Antrag auf Ausschluss der Presse gestellt wurde. Am Nachmittag erneut. Dieser offensichtlich verfassungsfeindliche Akt wurde zwar abgelehnt, aber nur weil Parteichef Krupalla die Delegierten eindringlich beschwor, sich an Hygienebestimmungen zu halten, nicht um die Mitmenschen zu schützen oder aus Überzeugung, sondern um es den Medien und „Altparteien“ zu zeigen, dass man es eben doch könne. Im Vorfeld war die Vermutung geäußert worden, Maskenverweigerer würden das Ordnungsamt zu einem Abbruch des Parteitages bewegen können.
Noch kein Wort ist über die inhaltliche Auseinandersetzung der Versammlung gefallen, was wiederum verdeutlicht, woran es der AFD aktuell besonders mangelt. Dieser Parteitag ist ein Sozialparteitag d.h. die AFD hat über 7 Jahre nach ihrer Gründung, ein Rentenkonzept verabschiedet. In den Leitantrag einführen, sollte Jörk Meuten in seiner Rede. Es kam aber anders.
Er ging zum Angriff über, kritisierte die Nähe der AFD zur „Querdenker“ Szene, warf Teilen der Partei vor, sich von demokratischen Grundsätzen zu verabschieden. Noch nie war die Rede eines Vorstandsmitglieds in der AFD und wahrscheinlich überhaupt, so ambivalent aufgefasst worden. Während die noch übrigen Wirtschaftsliberalen energisch beipflichteten, brach v.a. in den Reihen ostdeutscher Landesverbände ein Sturm der Entrüstung aus. Beobachter und Kommentatoren wussten nicht wirklich mit dieser Situation umzugehen; die Reaktionen der übrigen Vorstandsmitglieder zeigte Ratlosigkeit, wie Alice Weidels fast schon typischer Interviewabbruch, diesmal mit Phoenix eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Vielleicht sah Meuten die Chance, nach der Auflösung des „Flügels“ und dem Ausschluss von Kalbitz, die extremen Kräfte der AFD zu schwächen oder gar von der Partei abzuspalten. Wahrscheinlich hat er sich überschätzt, denn der „Flügel“ kontrolliert längst weite Teile der Partei, nicht nur in den Ost-Verbänden. Meutens Bemühen, die Fassade des „Bürgerlichen“ aufrecht zu erhalten, wie es immer stärker seine Aufgabe in den letzten Jahren wurde, scheint durch die Radikalisierung der Anti-Coronamaßnahmenproteste, endgültig wirkungslos geworden zu sein. Schon seit längerem, steht er unter Druck, weil er den unaufhaltsamen Rechtsdrift der AFD nicht mitgehen wollte, zumindest nach außen. Er fürchtet um die weniger extremistischen Wähler*innen, wie es auch Bernd Lucke oder Frauke Petri taten. Um jedoch nicht dasselbe Schicksal zu erleiden wie sie, hat er sich wohl für die Flucht nach Vorn entschieden. Man könnte das als mutig bezeichnen, töricht wäre wohl angebrachter. Denn bevor Lucke im Jahre 2015 von Petri und Co. Und 2017 Petri von Meuten und Gauland abgesägt wurden, haben sie in Parteitagen ähnliche Ultimaten gestellt und diese verloren. Sie wollten die Programmatik einer, ihrer Partei retten, die es jeweils nur noch auf dem Papier gab. Die Wahrscheinlichkeit, dass es Meutens AFD noch gibt, ist sehr gering. Da er geschickt darin ist, sich an der Führung zu halten, obwohl er nicht mehr die Partei repräsentiert, man könnte sagen durch sein besonderes opportunistisches Talent, war er als neoliberal-konservativer Wirtschaftsprofessor noch vom Schicksal seiner Vorgänger verschont geblieben. Für den Flügel war er nützlich, als bürgerliches Gesicht nach außen, um den Schein zu wahren. Mit seiner offensiven Kampagne gegen Kalbitz und den Flügel aber, hat er sich diesen zum Feind gemacht und fürchtet sichtlich um seine Karriere. Da Luckes „LKR“-Partei und Petris „die Blauen“ ein Schattendasein fristen, hat sich Meuten wohl zum Ziel gesetzt, die Marke AFD für sich zu behalten. Das ist das Erfolgsrezept, wird er wohl glauben und wollte daher den Flügel aus der Partei drängen, was ihm aber nicht gelingen wird, weil eine breite Mehrheit der Mitglieder sich aufgrund der Positionen des Flügels zur AFD bekennt genau wie eine überwiegende Mehrheit der Wähler sie deshalb wählt.
Die AFD wird nur noch von 2 Grundsätzen zusammengehalten: den Hass auf das progressive Deutschland und Europa, besser unter dem Schlagwort „links-grün versifftes 68er Deutschland“ bekannt einerseits und andererseits die Ablehnung dieses deutschen Staates. Der 2. Punkt ist allerdings komplexer, denn während die Gründungsidee der AFD als Anti-Europartei, eine genuin wirtschaftslibertäre war, ist das Projekt der AFD heute ein autoritäres. Diese Punkte können sich hin und wieder überschneiden, verfolgen allerdings divergierende Ziele. Meuten will den Staat abschaffen, weil er dem Marktglauben verfallen ist, Höcke will die Republik vernichten, um Führer zu sein. Meuten will die Anarchie des entfesselten Marktes, der Flügel die Diktatur des „Deutschen“. Die Parallelen sind offenkundig: das Recht des Stärkeren, Sozialdarwinismus, eine Aufhebung von Gleichheitsgrundsätzen. Aber während Meutens Schwächung des Staates im sog. Nachtwächterstaat endet und der Markt alles regelt, mündet Höckes Schwächung des Staates im preußischen Obrigkeitsstaat. Beide sind falsch, beide sind gefährlich und unfair aber aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Eine Bindung, die nur auf Ablehnung des „Anderen“ beruht, statt auf gemeinsamen Visionen, wird nicht von Dauer sein. Die nächste Häutung der „Alternative für Deutschland“ steht an; immer weiter nach rechts, immer weiter in das Gestern, immer weiter weg von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.