Die Bezeichnung christlich-jüdisches Abendland ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Einerseits verkennt, dass die jüdische Minderheit in Europa immer benachteiligt und teilweise verfolgt wurde. Bereits im Mittelalter kam es hin und wieder zu regional begrenzten Pogromen gegen Juden. Zu behaupten, jüdische Bräuche wären langfristig, weil gleichberechtigt in die kulturellen Besonderheiten des Abendlands eingeflossen, relativiert den tief verwurzelten Antisemitismus, der seinen grausamen Höhepunkt in der Shoah fand.
Des Weiteren, wird dieser Begriff immer in einem desintegrativen Kontext laut. Rechte und Konservative Politiker äußern ihn, um sich eindeutig von den meist muslimischen Neuankömmlingen abzugrenzen, in dem sie eine sogenannte „Leitkultur“ künstlich zu erschaffen versuchen. Das Abendland, genauer die iberische Halbinsel wurden tatsächlich über Jahrhunderte hinweg von arabischen Eroberern kontrolliert und geprägt. Ihr Einfluss findet sich in der traditionellen Küche, der Architektur und sogar der Sprache.
Rechtsradikale hingegen, nutzen Begriffe wie diesen, um suggestiv ein Spannungsverhältnis zwischen der heimischen und der ankommenden Bevölkerung herzustellen. Dabei wirkt diese Wortwahl einerseits abschottend gegenüber dem Islam, andererseits sind Juden mit inbegriffen, was den Rechtsextremen eine angebliche Distanzierung zu den Verbrechen des NS-Regimes ermöglicht. Antisemitismus gegen Juden wird von der überwiegenden Mehrheit unserer Gesellschaft zurecht abgelehnt, anders aber antiislamische Strömungen. Wieso denn auch? Der Islam eignet sich perfekt für xenophobe Propaganda angeblicher Beschützer des Abendlandes. Unser Bild vom Islam ist nämlich von vielen, teils veralteten Stereotypen geprägt. Vorurteile wie Unterdrückung von Frauen oder eine größere Gewichtung auf religiöse Sitten als auf Verfassungsgrundsätze machen es vor Allem liberalen Bürgern schwer, der antiislamischen Stimmung etwas entgegenzusetzen. Der Islam ist die am stärksten Wachsende monotheistische Weltreligion, da sie in vielen afrikanischen und arabischen Ländern prädominiert. Daher ist es für rechte Demagogen leicht, sozialdarwinistische Verteilungs- und Konkurrenzängste zu wecken. All das begünstigt antiislamische Stimmungsmache, was aus Sicht der Rechtsextremen Agitatoren Muslime als die Juden des 21. Jahrhunderts qualifiziert.
Die angemessene Antwort auf das verzerrte Bild des Islams heißt kultureller Austausch. Man muss stets bedenken, dass Beispielsweise viele der Syrischen Flüchtlinge, den Arabischen-Frühling unterstützt haben und deshalb fliehen mussten. Sie forderten also die demokratischen Werte und Rechte, die in unserem Land praktiziert werden. Wir dürfen den Neuankömmlingen diese Rechte nicht verweigern. Ihre Begeisterung für die Demokratie ist statistisch eindeutig viel höher als die der „Biodeutschen“, denn sie kennen das Gegenmodell und wissen, welch ein Privileg wir in Deutschland haben. Man darf die Länder, aus denen viele Flüchtlinge kommen nicht mit den Menschen gleichsetzen. Nach dem zweiten Weltkrieg haben die Deutschen erstmal wiedererlernen müssen, was Demokratie eigentlich bedeutet. Wieso sollten das Syrer nicht auch können?
Fest steht, dass keine Region, besonders nicht Europa absolut abgegrenzt von anderen Kulturen entstanden ist und daher heute klar definierbar ist. Kultur ist dynamisch und unterliegt einem fortlaufenden Wandlungsprozess, der von uns Menschen gestaltet wird. Der Glaube Eigenschaften und Bräuche einer Personengruppe einfrieren und abschotten zu können, ist ein Trugschluss, der aufgrund seiner Verbreitung gnadenlos von Demagogen missbraucht wird.